„Ich würde für Antrag B stimmen!“ – Interview mit der „Wirtschaftsweisen“ Beatrice Weder di Mauro
Beatrice Weder di Mauros Lebenslauf ist schlichtweg beeindruckend: Seit 2001 ist sie Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, nach Stationen beim Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank und der Universität Basel. Bekanntheit erlangte sie als jüngstes Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, das jemals berufen wurde, und als erste Frau, die dem Gremium der fünf sogenannten „Wirtschaftsweisen“ angehört. In dem kürzlich veröffentlichten Jahresgutachten 2011/2012 haben sich die Wirtschaftsweisen insbesondere mit der Bewältigung der europäischen Staatsschuldenkrise beschäftigt. Grund genug, um mit Beatrice Weder di Mauro über den FDP-Mitgliederentscheid zur Euro-Krise zu sprechen.
Stabiles Europa: Frau Prof. Weder di Mauro, bei nicht wenigen Volkswirten steht Kritik an der Rettungsschirmpolitik hoch im Kurs. Übersehen Ihre Kollegen etwas?
Weder di Mauro: Im Sachverständigenrat haben wir die Einrichtung des EFSF und des ESM klar begrüßt. Diese Rettungsschirme sollen dazu dienen, das europäische Finanzsystem vor der Gefahr einer systemischen Krise zu schützen. Zudem helfen sie den betroffenen Ländern, Liquiditätsprobleme zu überbrücken und Zeit zu gewinnen, um die nötigen Reformen durchzuführen. Anpassung gegen Finanzierung, dies sind auch die bewährten Instrumente des IWF. Wer dieses grundsätzlich hinterfragt, unterschätzt den wirtschaftlichen Schaden, den Deutschland, Europa und sogar die Weltwirtschaft zu nehmen drohte, wäre die Eurokrise ungebremst weiter eskaliert.
Stabiles Europa: Aber gibt es nicht kostengünstigere Alternativen? Teilweise wird ein Austritt Griechenlands aus dem Euroraum vorgeschlagen.
Weder di Mauro: Ein Austritt Griechenlands löst weder die Probleme Griechenlands noch Europas. Die Wiedereinführung einer griechischen Währung wäre mit einer massiven Abwertung verbunden, die zwar die Exporte verbilligen aber die Importe verteuern würde. Besonders schwer würden aber die Vermögenseffekte wiegen: Die Auslandsschulden Griechenlands würden weiter auf Euro lauten, so dass es unweigerlich zum Zusammenbruch des Bankensystems, der Insolvenz des Staates und vieler privater Unternehmen käme. Die griechische Regierung wäre wohl gezwungen, ihr Defizit über das Anwerfen der Notenpresse zu finanzieren, was zu erheblichen Inflationsprozessen führen würde. Zudem mindert ein Austritt der Mini-Volkswirtschaft Griechenland keineswegs die Kernprobleme, nämlich die Schuldenprobleme Italiens, Spaniens, Irlands und Portugals. Es würde sie vielmehr deutlich verschlimmern, da die Märkte dann hohe Austrittsrisiken in die Zinsen einpreisen würden, da schließlich auch diese Länder den Euroraum verlassen könnten.
Stabiles Europa: Aber wäre das nicht eine gute Lösung? Eine Aufspaltung in einen Nord- und einen Süd-Euro oder gar die Wiedereinführung der D-Mark werden doch bereits diskutiert.
Weder di Mauro: Ich halte beide Vorschläge für verantwortungslos, da sie mit unkalkulierbar hohen Kosten und der Vernichtung von Vermögen einhergingen. Ein Überschießen des Wechselkurses, also eine massive Aufwertung, wäre nicht zu verhindern. Die mühsam zurück gewonnene Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Exportwirtschaft würde mit einem Schlag zunichte gemacht. Aber noch schwerer würde der Verlust auf dem deutschen Auslandsvermögen lasten. Als Exportüberschussnation hat Deutschland hohe Forderungen gegenüber dem Euroraum angehäuft, die es weitgehend abschreiben müsste. Dieses Vermögen liegt im Übrigen nicht nur bei großen Banken, sondern auch bei Versicherungen und Pensionskassen. Eine weit größere Rekapitalisierung der Finanzinstitute und ein sprunghafter Anstieg der Staatsverschuldung Deutschlands wären unvermeidlich.
Stabiles Europa: Aber immerhin können durch die derzeitige Euro-Rettung auch enorme Kosten anfallen, wenn etwa die Schuldner der Rettungsschirme ausfallen sollten.
Weder di Mauro: Natürlich müssen die Haftungsrisiken begrenzt werden. Das hat nicht nur das Bundesverfassungsgericht gefordert. Es ist vielmehr auch ein Gebot der ökonomischen Vernunft, ein Ziel mit möglichst geringen Kosten zu erreichen. Vor diesem Hintergrund ist der Schuldentilgungspakt des Sachverständigenrates entstanden.
Gleichzeitig darf man nicht vergessen, dass Deutschland auch in der Vergangenheit großen finanziellen Aufwand betreiben musste, um die D-Mark vor einer Aufwertung zu bewahren, die die Exportchancen gemindert hätten. Im Rahmen des Bretton Woods-Systems hat Deutschland laufend Devisen kaufen müssen, um den Wechselkurs zum US-Dollar zu stabilisieren. Beim Zusammenbruch des Systems entstand ein Verlust von ca. 360 Mrd. Euro in heutigen Zahlen. Dabei handelt es sich um reale Verluste und nicht um Garantien in Höhe von 211 Mrd. Euro wie im Rahmen der EFSF. Die Wiedereinführung der D-Mark wäre für Deutschland nicht billiger als die EFSF oder der ESM.
Stabiles Europa: Und jetzt die Gretchen-Frage. Vorausgesetzt, Sie könnten beim Mitgliederentscheid der FDP mit abstimmen, würden Sie sich für Antrag A der Gruppe um Frank Schäffler oder für Antrag B des Bundesvorstandes entscheiden?
Weder di Mauro: Ich würde für Antrag B stimmen.
Das die wäre Überraschung des Jahres:
eine VWL-Professorin, die als jüngstes Mitglied in den Sachverständigenrat der Bundesregierung berufen worden war, eine Frau, die ihre Karriere beim IWF und der Weltbank begonnen hat, spricht sich gegen die erfolglose Rettungsschirmpolitik aus.
Auf Platz zwei stünde:
Gestandener Eigentümer-Unternehmer, weltweit erfolgreich und vernetzt, plädiert für die Einführung des ESM.
Das ist schon ein starkes Stück, dass die FDP jetzt schon den sogenannten Sachverständigenrat in Kauf nimmt. Das Gremium sucht den politischen Kompromiss zwischen konservativer Neoklassik und sozialistischem Keynesianismus (Bofinger). Dass 65 Wirtschaftsprofessoren von untadeligem Ruf Antrag A unterstützen, dass 16 bekannte und angesehene Persönlichkeiten des Establishments sich deFacto für Antrag A stark machen auch nicht. Shit happens
Bezeichnend! Niemand argumentiert in der Sache. Die Einwände beziehen sich alle auf die Person. Leute, wollen wir nicht in der Sache streiten? Also, wie entkräftet Ihr das Argument der Vermögenseffekte oder der Alternativkosten mit einer Währung jenseits des Euro?
Lieber Herr Buschmann,
in der Sache haben wir in all den zurückliegenden Artikeln des Blogs argumentiert. Ich erinnere insbesondere an die hervorragenden Beiträge von Barthel Berand. Nie ist eine sachbezogene Antwort gekommen, immer wieder wurden in neuen Elogen auf den ESM die bloßen Hoffnungen, Drohungen und Wünsche der ESM-Freunde wiederholt, wurden gar Wirtschaftsverfassungen gegen die Europäer und Zwangseingriffe in fremde Staatshaushalte als liberale Errungenschaften ausgegeben.
Glauben Sie im Ernst, daß wir uns zum siebenundzwanzigsten Mal mit den nun von einer staatsangestellten Politökonomin aufgewärmten dünnen Argumenten der Rettungsschirmherren auseinandersetzen, sie wieder und wieder sezieren und zu unserer großen Überraschung feststellen, daß sie dem Bürger nicht taugen, den Schutz seines Vermögens zugunsten derer von Banken und Staaten gröblichst vernachlässigen?
Wer wie Frau Weder di Mauro so tut, als sei ausgerechnet Bretton Woods die Alternative zum Euro und dessen unendlich kostspieliger Rettung in Permanenz, der muß sich fragen lassen, ob solch ein Vergleich zwischen dem einen zentralplanerischen und dem anderen zentralplanerischen Währungssystem irgendetwas aussagt über die marktwirtschaftlichen Möglichkeiten der Geldproduktion und -verwendung, die den Menschen durch die Institution Gesetzliches Zahlungsmittel seit über hundert Jahren zwangsweise vorenthalten werden.
Und nein, meine Einwände beziehen sich gerade nicht auf die Person Weder di Mauro, sondern auf ihre bisherigen Funktionen, die nach menschlichem Ermessen erwarten lassen, daß sie das Lied dessen,
dessen Brot sie isst, auch singt.
Überraschen lasse ich mich freilich gern.
PS. Auch Erich Honecker war ein Freund der Stabilität in Europa. Freunde der Menschen und ihres Marktes hingegen wünschen sich Dynamik.
Bei der Handelsbilanz von Griechenland liegt seit Jahren ein großes Handelsbilanzdefizit vor liebe Frau di Mauros. Schon früher war der Tourismus der Schlüssel zur wirtschaftlichen „Gesundung“, und mit Hilfe des Marshallplans und der hohen Einnahmen von ausländischen Touristen kam es ab den 1950ern zu einer langsamen Erholung der Wirtschaft des Landes.
In der Sache argumentieren schon Topökonomen wie Hans-Werner Sinn mit seiner beeindruckenden Unterstützerliste der Bogenbergererklärung, der Bund der Steuerzahler, die jungen Unternehmer, die über 50 unabhängigen VWL-Profs, die ausdrücklich Antrag A unterstützen. Der Argumente sind genug gewechselt. Hier muss man auch mal kritisieren, wie schäbig und korrupt es ist, in einem solchen Interview eine bestenfalls drittklassige Ökonomin von der im VWL-Ranking weit abgeschlagen schlechtesten Fakultät heranzuziehen, die sich offensichtlich politisch verkauft. Ökonomisch hat sie jedenfalls im Gegensatz zu Sinn keine tiefen Analysen vorzubringen, dieses Interview besteht aus so oberflächlichen Phrasen, dass es ohne Probleme auch von Westerwelle stammen könnte
Lieber Marco,
du hast Recht; ein ad hominem ist niemals eine schlüssige Argumentation. Aber man wird zumindest bezweifeln dürfen, dass Experten, die die größte Krise seit gut 80 Jahren nicht haben kommen sehen, als Ratgeber taugen.
Weder die Mauro: „Diese Rettungsschirme sollen dazu dienen, das europäische Finanzsystem vor der Gefahr einer systemischen Krise zu schützen.“
Wenn man tief genug blickt, kann man erkennen, dass das Finanzsystem selbst die erste Ursache der Krise ist. Sie will diese Ursache schützen. Man darf das getrost als untauglichen Versuch bezeichnen.
Peter Bofinger – ein Kollege von Weder die Mauro im Sachverständigenrat – hat auf die Frage, warum der Sachverständigenrat die Krise nicht hat kommen sehen, sinngemäß geantwortet: ´In unseren neoklassischen Gleichgewichtsmodellen, mit denen wir arbeiten, wird der Finanzsektor nicht abgebildet. Deshalb können wir in unseren Prognosemodellen nicht erkennen, wenn dort etwas schief läuft.´
Damit liegt er so falsch nicht. Was er noch nicht erkannt – oder für mich vernehmbar geäußert – hat, ist die Tatsache, dass in seinen Gleichgewichtsmodellen das Geld an sich gar nicht vorkommt, da es dort als neutral angesehen wird. Es sei die Frage erlaubt, warum die Welt derzeit mit Geld geflutet wird, wenn dies laut der zugrundeliegenden Theorie nichts bewirken kann. Es soll ja neutral sein. In der Österreichischen Geld- und Konjunkturtheorie, die zunehmend meine Hochachtung erfährt, ist das Geld auch neutral; aber nur in bezug auf eine einmal vorhandene und ausreichend große Geldmenge. Ändert sich die Geldmenge durch hoheitlichen Befehl oder durch ein betrügerisches Teilreservesystem und nicht durch die Wirkkräfte von Angebot und Nachfrage, ist das Geld nicht mehr neutral (s. bspw. Cantillon-Effekt). Und das zeitigt dann die Folgen, die wir heute staunend beobachten dürfen.
„Also, wie entkräftet Ihr das Argument der Vermögenseffekte oder der Alternativkosten mit einer Währung jenseits des Euro?“
Der Vermögenseffekt wird so oder so eintreten; am schleichendsten über eine Inflationierung, was derzeit ja auch versucht wird. Daher ist dieses Argument nicht zu entkräften. Es ist richtig. Die eigentliche Frage ist, wer diese negativen Vermögenseffekte tragen sollte. Dass hier Scheinwerte entstanden sind, die unweigerlich aufgelöst werden wollen, ist offensichtlich. Würde man die Krise ihre Arbeit verrichten lassen, würden die Vermögenseffekte bei denjenigen eintreten, die es sich verdient haben. Sollten davon Lebensversicherer, etc. betroffen werden, kann man darüber nachdenken, ob man dort unterstützend eingreift. Das wäre auf lange sicht in jedem Fall billiger, als die jetzt angestrebte Lösung. Mit EFSF und ESM jedoch wird dieser negative Vermögenseffekt beim Steuerzahler eintreten. Das ist erstens ungerecht, weil nicht marktwirtschaftlich und damit ein Vertrag zulasten Dritter (in unserem Rechtssystem eigentlich ein Unding), und zweitens auch unsolidarisch gegenüber der eigenen Bevölkerung und für unsere Minister ein Verstoß gegen ihren Amtseid. Früher nannte man das Hochverrat.
Die Alternativkosten sehe ich so nicht. Durch eine Aufwertung würden unsere Exporte für die ausländischen Kunden teurer. Das ist zunächst einmal deren Problem und sie – nicht die Politik – werden entscheiden, ob sie den höheren Preis zahlen oder sich anderweitig umschauen werden. Deutschland hatte immer eine starke Währung, die aufgewertet hat. Zu Karl Schillers Zeiten nannte man das Sozialdividende, da die Bevölkerung des Starkwährungslandes im Ausland billig einkaufen und Urlaub machen konnte. Aus der Geschichte ist mir kein wirtschaftlich starkes Land bekannt, das eine schwache Währung hatte. Es gibt keinen Grund, das zu ändern.
Zudem führt eine starke Währung dazu, dass der Exportsektor seine ausländischen Vorleistungen preiswerter einkaufen kann. Dies mildert den befürchteten Effekt um ca. die Hälfte. Es mag trotzdem sein, dass sich die Struktur der deutschen Wirtschaft ändert. Na und? Wenn es die Aufgabe von Politik wäre, den Status quo zu wahren, würden wir heute noch in Höhlen leben. Wir sollten dieses race-to-the-bottom nicht mitmachen. Im Gegenteil.
@euckenserbe
Was hat Keynes bitte mit Sozialismus zu tun. Man muss Keynes ja nicht (in allen Punkten) zustimmen, aber deshalb wird noch niemand zum Sozialisten. Das ist doch der Versuch eines Totschlagarguments. Keynes war bekennender Liberaler, Parteimitglied und (Wahlkampf-)Unterstützer.